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Der Polenmarkt in Berlin


Ursula Weber

Info
Zur Rekonstruktion eines kulturellen Kontakts im Prozeß der politischen Transformation Mittel- und Osteuropas. Deutsche Hochschuledition, Band 129

Beschreibung
Der Polenmarkt, der von 1989 bis 1993 in Berlin stattfand, war ein Ereignis, das als Begleit- und Folgephänomen des politischen Aufbruchs Mitte der 80er Jahre in Ost- und Mitteleuropa charakterisiert werden kann. Berlin war noch durch die Mauer geteilt, als das ehemalige Zentrum, über Jahrzehnte eine Stadtbrache rund um den Potsdamer Platz, von den polnischen Händlern als Ort des Handels neu belebt wurde. Für wenig Geld boten die Wochenendhändler Lebensmittel, Alkohol, Zigaretten, Antiquitäten und Kleidung einer zahlreichen Kundschaft an. Vorbei am Zoll, Verordnungen und an Gesetzen.


Sein unvorbereitetes Entstehen, sein primitives Erscheinungsbild, seine Exotik und die gesellschaftspolitischen Ursachen machten den Polenmarkt einmalig. Zu einem Element der Öffnung des Ostens zum Westen, in dem sich die Möglichkeit eines Kulturdialoges zwischen Ost und West bot. Seine ökonomische Bedeutung war im Prinzip minimal, die Symbolkraft des spontanen, improvisierten Marktes war jedoch enorm. Es wurden vor allem Bilder, Vorstellungen und Werte zwischen unterschiedlichen Welten transferiert. An seiner Existenz zeigt sich, dass ein neues Stadium der gesellschaftlichen Produktion von Raum und Zeit begann.



Ein zunächst alltägliches Ereignis, ein Markt, wird zu einem faszinierenden Gegenstand, weil es um eine stark geladene politische Metapher geht, die in der Studie symbolanalytisch nach zahlreichen Bedeutungen abgeklopft worden ist. Und das obwohl die Realität dieser Metapher flüchtig war, so wie das Ereignis für das sie steht, nämlich die Wende, die Transformation, die Ereignisse um den Fall der Mauer 1989. Damit wird der Polenmarkt unter dem Aspekt seiner Zeichenhaftigkeit für ein politisch-historisches Großereignis beschrieben. Ethnographische, histographische und politikwissenschaftliche Beschreibungsverfahren wurden dafür kombiniert. Um seine Rolle im Prozeß der politischen und ökonomischen Transformation um 1989 bestimmen zu können, kommt der Rekonstruktion des Polenmarktes, seiner Genese, seiner Geschichte, seiner Funktion und seiner Bedeutung eine große Rolle zu – ohne jedoch die politische Konstellation in Polen und den Blick in die 90er Jahre und deren Folgen für Berlin und Europa zu vernachlässigen. Rahmenbedingungen und Kontextbezüge prägten neben dem Sozial – und Realprofil des Polenmarktes die Aufarbeitung des Forschungsgegenstandes.


Die Ereignisse waren dabei gar nicht in erster Linie von den deutschen Verhältnissen zu klären, sondern die eigentliche Verschiebung passierte zunächst in Polen, dessen politische und wirtschaftliche Struktur sich änderte. Die polnische Wirtschaft verlor vorübergehend ihren stereotypen Charakter und wurde zum Leitbild der Umorientierung und Neuprägung der nationalen Wirtschaft. Jedoch bleibt die Existenz des Polenmarktes in Berlin nicht allein Ausdruck versinnbildlichter Veränderung in Polen, sondern ist darüber hinaus eine Indikation einer Wende, die in verfremdeter Form sich ankündigt.



So stellt die Untersuchung eine Analyse der Wende dar. Der Polenmarkt ist die Objektivierung von strukturellen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen, die in den bundesdeutschen Alltag hinein reichen. Der Markt lenkt den Blick jenseits der großen politischen Ereignisse auf die Mikroebene des Alltags. Aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt wird die Rezeption des Marktes in den Medien untersucht, die Reaktion die er bei Behörden und Politikern auslöste ebenso wie die Erfahrungen der Besucher . Ein teilweise heftig geführter Diskurs entsteht. Angesichts der diffusen Einwanderungs- und Fremdenangst wurde der Polenmarkt zeitweilig zu einem Symbol der Bedrohung durch das Fremde. Der Markt geriet zur "xenophoben Angstmetapher". Darüber hinaus aber ermöglichte er die vielfache Begegnung zwischen Polen und Deutschen. Ein Marktplatz im Zentrum Berlins wurde zum vielschichtigen Erfahrungsraum der Ost-West-Begegnung, wo unterschiedliche Wert- und Normsysteme aufeinander trafen. In dieser historischen Situation wurden in Form eines Handels- und Kulturdialoges, der sich nach spontanen Regeln aber auch klischeehaften Vorstellungen vollzog, Verhaltensweisen geschaffen, die zu Elementen einer Realitätskonstruktion herangezogen werden konnten. Ethnographische Momentaufnahmen machen den Markt plastisch und untermauern wiederum die Deutung des Marktes als einem umfassenden Zeichen- und Verweissystem. In der Sicht auf den Polenmarkt wird das Unsichere in der Mentalität der Wendezeit offenbar. Wie der Markt, die Schilderungen über ihn und die über ihn getroffenen Urteile zu Markierungen hinsichtlich der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zukunft benutzt werden. Der Markt wirkt wie ein Seismograph des Neuen. Da zeigt sich auch an den Einschätzungen und "Geschichten" in Form von "Sagen" über den Markt.

240 Seiten, kartoniert, DINA5
Erscheinungsjahr: 2002
Preis: 38.00 € inkl. MwSt und Versandkosten in Deutschland
(Versandkosten Ausland auf Anfrage)
ISBN: 3-89391-129-4

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